Politik und Religion
Podiumsdiskussion: (Nicht-) Vereinbarkeit von Religion und Grundgesetz?
Was sagen Halacha, Kirchenrecht und Scharia zu Demokratie und Rechtsstaat?
Das deutsche Grundgesetz feierte dieses Jahr 75- jährigen Geburtstag. Es ist die Verfassung der BRD und damit eines der wichtigsten Dokumente unserer Demokratie. Trotz des Alters unseres Grundgesetzes bleibt es brandaktuell, denn es regelt das alltägliche Zusammenleben, den Staatsaufbau und das gesellschaftliche Miteinander. Neben bekannten Klassikern, wie „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ (Art. 1 GG), ist dort auch die positive Religionsfreiheit, also das Recht auf die freie Religionsausübung, festgeschrieben. Das bot für uns den Anlass, sich im Rahmen einer Podiumsdiskussion intensiv mit der (Nicht-) Vereinbarkeit von Religionen in der säkularen Bundesrepublik auseinanderzusetzen.
Am 30.10. organisierte das Forum für Interkulturellen Dialog in Zusammenarbeit mit der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung ebendiese Podiumsdiskussion im Haus am Dom in Frankfurt. Die Diskussion entpuppte sich als einzigartige Veranstaltung, bei der sich vier Expert:innen über das Verhältnis von Judentum, Islam und Christentum mit dem Grundgesetz beschäftigten. Einzigartig war die Veranstaltung deshalb, weil sie eine Plattform des Austausches zwischen den drei monotheistischen Religionen bot, der gerade leider selten stattfindet. Am Ende des Abends war klar, dass es so einen Austausch viel regelmäßiger braucht.
Der Moderator Dr. Daniel Deckers von der FAZ, der selbst Experte für die römisch-katholische Kirche ist, führte dabei souverän durch die Themen und durch den Abend, bei dem auch sensible Themen besprochen wurden. Eingeladen waren Expert:innen für Jura, Politikwissenschaft, Christentum, Judentum und Islam, die das Thema somit aus verschiedenen Perspektiven beleuchten konnten und einen spannenden Austausch anregten.
Von Daniel Neumann, Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinde in Hessen, konnten die Teilnehmenden lernen, dass ständiges Diskutieren, Mehrheitsentscheide aber auch die Akzeptanz von Minderheitenmeinungen im Judentum schon seit jeher integriert sind, wie man es beispielsweise am Talmud oder Bildungssystem sehen kann. Daher enthält das Judentum in sich demokratische Elemente, wie den Schutz und die Förderung von Minderheiten. Außerdem gab uns Herr Neumann einen Einblick in die Situation von Jüd:innen in der Diaspora, klärte über das Verlorene Vertrauen der jüdischen Gemeinde in den Staat nach dem zweiten Weltkrieg und der Shoa auf und beschrieb gleichzeitig ein wieder gewachsenes Vertrauen in staatliche Institutionen und das Grundgesetz. Auch der in der Gesellschaft verankerte Antisemitismus wurde auf dem Podium besprochen.
Prof. Dr. Çefli Ademi und Prof. Dr. Mathias Rohe erklärten als Experten für Jura und Islamwissenschaft, wie demokratisch der Islam ist bzw. gelesen werden kann. Die Demokratie könne sogar als die Form des Islams gesehen werden. Sie stellten sich außerdem die Frage, ob religiöse Minderheiten genug geschützt würden, wie es im Grundgesetz ja festgelegt wird. „Die Mehrheit schützt sich meist ganz gut“, meint Prof. Dr. Rohe im Hinblick auf gesellschaftliches Auflehnen gegen religiöse Minderheiten, wie Muslim:as. Prof. Dr. Ademi betont, dass das Aushalten von Differenzen und das Aushandeln von Spannungsfeldern in einer Demokratie notwendig ist, solange die eigene Freiheit dabei nicht eingeschränkt wird. Das Recht auf die freie Ausübung der Religion muss in demokratischen Gesellschaften geschützt werden. Dazu gehört auch, ein Kopftuch oder eine Kippa tragen zu können, ohne diskriminiert oder angefeindet zu werden.
Eine kritische Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche wurde durch Prof. Dr. Tina Stein angeregt, die betonte, dass die Menschenwürde zwar aus der Bibel abgeleitet werden kann, der Aufbau der katholischen Kirche allerdings eher einem monarchischen Absolutismus gleicht und damit über keine demokratischen Kontrollinstanzen verfügt.
Das zahlreich gefüllte Auditorium konnte bei dieser Veranstaltung über das Verhältnis vom säkularen Staat zu den Weltanschauungsgemeinschaften aus verschiedenen Perspektiven lernen. Außerdem wurden auch Themen wie politischer und religiöser Extremismus besprochen und wie eine wehrhafte Demokratie aussehen könnte.
Auch das Verhältnis zwischen den drei Religionen wurde diskutiert, was mit Blick auf den Nahen Osten, ein emotionales und sensibles Thema war. Es wurde über Vertrauensbrüche und Vorwürfe geredet, über Spannungen und Reaktionen in der Zivilgesellschaft, aber auch über kleine Gesten der Hoffnung, durch die man an einer gemeinsamen friedlichen Lösung arbeiten kann. Gerade hier wurde deutlich, dass der Dialog miteinander immer weiter aufrechterhalten werden muss. Dass statt Ausgrenzung und Stille immer wieder Aussprachen und gegenseitiges Zuhören angeregt werden muss, um gemeinsam über Verluste zu trauern und sich zusammen für eine friedliche Lösung einzusetzen.
Die Anfrage war so hoch, dass wir leider mehr als 40 Personen wieder nach Hause schicken mussten. Dafür möchten wir uns entschuldigen. Es zeigt uns aber, dass das Interesse für interreligiöse Formate und das Zusammenspiel von Staat und Religion sehr groß ist, was uns motiviert weitere Veranstaltungen zu organisieren. Für alle, die sich die Podiumsdiskussion im Nachhinein anschauen wollen, wurde die gesamte Veranstaltung aufgezeichnet und kann sich hier angeschaut werden.
Wir bedanken uns bei den so zahlreich erschienenen Gästen für das große Interesse und die spannenden Fragen, bei unseren Kooperationspartnern Haus am Dom und der HLZ für die Unterstützung und v.a. bei den Teilnehmenden der Podiumsdiskussion und dem Moderator, durch die so ein spannender Abend ermöglicht wurde!