Frankfurt, 18. Juni 2021 – Die Lage wird für Oppositionelle, Andersdenkende und religiöse Minderheiten in der Türkei immer gefährlicher. Das Forum für Interkulturellen Dialog (FIDeV) weist zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni 2021 auf die Situation der unterrepräsentierten Opfergruppen hin. Viele davon leben heute auch in Deutschland.
Flucht und Vertreibung waren ein wiederkehrendes Thema der Berichterstattung der letzten Jahre. Nur selten ging es dabei jedoch um die Türkei, die nach dem Putschversuch im Jahr 2016 immer radikaler gegen vermeintliche Systemgegner:innen vorgeht. „Die Türkei steht für viele Menschen in Deutschland für Sonne, Urlaub und Gastfreundschaft“, so Kadir Boyacı, Vorsitzender des Forum für Interkulturellen Dialog e.V. (FIDeV). “Gleichzeitig werden dort Journalist:innen inhaftiert, die sich für die Rechte von Kurd:innen einsetzen.” Die türkische Regierung verfolgt ihre Kritiker:innen inzwischen nicht mehr nur im In-, sondern auch im Ausland.
Erst jüngst entführte der türkische Geheimdienst Selahaddin Gülen und Orhan Inandi aus Kirgisistan. Beide sind im Umfeld der Hizmet-Bewegung zu verorten, einer muslimischen Bewegung, die in Deutschland häufig in Anlehnung an den islamischen Gelehrten Fethullah Gülen als „Gülen-Bewegung“ bezeichnet wird. Die Verfolgung der Hizmet-Bewegung verschärfte sich im Anschluss an den Putschversuch in der Türkei im Jahr 2016. Dass die Bewegung für den Putsch verantwortlich sei, bezeichnet der Politikwissenschaftler Armin Pfahl Traughber als Beispiel für eine moderne Verschwörungsideologie.
Die Türkei hat ihr politisches System mit einer Verfassungsänderung im Jahr 2017 zu einem Präsidialsystem geändert. Die Exekutivgewalt bündelt sich seitdem in einer Person, dem Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Hinzu kommt dessen weitreichender Einfluss auf die Justiz, beispielsweise bei der Besetzung des Rates für Richter und Staatsanwälte. Abgeordnete des Europarates warnten deswegen bereits 2017 vor dem Abgleiten in eine Diktatur.
In der Praxis werden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs ignoriert, die Regierung stellt Oppositionelle unter Terrorismusverdacht, Menschen werden ohne rechtsstaatliches Verfahren inhaftiert und Berichte über Folter tauchen in unregelmäßigen Abständen auf. Human Rights Watch bezeichnet die Situation des Landes als zunehmende Menschenrechtskrise.
„Uns muss bewusstwerden, wie kritisch die Lage in der Türkei wirklich ist“, so Boyacı. FIDeV begleitet seit vielen Jahren Geflüchtete aus der Türkei. Besonders die Hizmet-Bewegung stehe dabei vor dem Problem, auch in Deutschland als verdächtig zu gelten. „Dabei versucht gerade Hizmet, einen modernen Islam zu leben, der mit Demokratie vereinbar ist und Menschenrechte fördert.“